Rezension zu ”Joachim von Fiore, Concordia Novi ac Veteris Testamenti”

Dan Siserman, Rezension zu ”Alexander Patschovsky (Hg.): Joachim von Fiore. Concordia Novi ac Veteris Testamenti, 4 vol., (Monumenta Germaniae Historica. Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters 28), Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2017” in Zeitschrift für Kirchengeschichte 130/2019, S. 406–407

In Anbetracht der wachsenden Anzahl von Veröffentlichungen in den letzten Jahrzenten sowohl von Schriften des mittelalterlichen Theologen Joachim von Fiore (ca. 1135–1202) selbst, als auch von Studien über sein Denken und seine Nachwirkung, zu denen auch Alexander Patschovkys kritischer Ausgabe des monumentalen Werkes „Concordia Novi ac Veteris Testamenti“ gehört, kann zurecht behauptet werden, dass die Joachim-Studien einen Höhepunkt erreicht haben. Was aber den Inhalt und Umfang innerhalb des Gesamtwerkes Joachims anbelangt, darf „Concordia“ als Hauptwerk und Herzstück seiner Geschichtsauffassung gelten. Dem Herausgeber Patschovsky zufolge bringt diese Ausgabe „ein fast schon hundertjähriges Unternehmen zum Abschluss“ (Bd. 1, S. VII), angefangen von Herbert Grundmann in den dreißiger Jahren, der leider seine Arbeit an einer kritischen Ausgabe nicht zu Ende bringen konnte. Im Jahr 1983 legte Randolph Daniel eine Arbeitsedition vor, die, obwohl sie nur die ersten vier Bücher enthält, Patschovsky maßgeblich geholfen hat, jetzt eine vollständige vierteilige Ausgabe der fünf Bücher der „Concordia“ herauszugeben. Patschovskys Verdienst bleibt aber unverwechselbar: Er hat für diese Ausgabe nicht nur fast alle insgesamt 43 bislang bekannten Handschriften der „Concordia“ beachtet, von denen 26 auf das Ganze gerichtet sind, sondern auch das fünfte Buch des Werkes, welches so umfangreich wie die anderen vier Bücher zusammen ist, zum ersten Mal bearbeitet und herausgegeben (Bd. 3). Dazu hat er auch einen ausführlichen Hilfsapparat geboten, wie den ausgiebigen Kommentar zum Aufbau, zu Ideen, Quellen und Ratio editionis des Werkes (den gesamten Bd. 1) oder die vollständigen Register der Bibelstellen, Autoren und Werke, Namen und Sachen, Schlüsselbegriffe und Zahlen (im gesamten Bd. 4). Ebenso wurden in den zahlreichen Fußnoten am lateinischen Text der fünf Bücher (Bd. 2 und Bd. 3) sehr viele aufschlussreiche Informationen verzeichnet. All das macht Patschovskys Beitrag zu einem Meisterwerk an sich.

Die „Concordia Novi ac Veteris Testamenti“ des kalabrischen Abtes Joachim von Fiore, die zwischen 1183 und 1196 verfasst wurde, ist einer der größten Versuche der mittelalterlichen allegorischen Exegese, das Wirken der Trinität in der Geschichte zu erforschen, um daraus einen eschatologischen Sinn sowohl für die vorherigen und gegenwärtigen als auch für die zukünftigen Ereignisse zu ziehen. Da Joachim von Fiore sich vor allem als Bibelexeget verstand und jedwede Anklage, dunkle Prophezeiungen zu verbreiten, vermeiden wollte, begründete er in den ersten vier Büchern der „Concordia“ eine komplexe, fast kaleidoskopische, typologische Exegese. Das Prinzip von Konkordanzen, die zwölf von ihm konzipierten geistigen Schriftsinne und die Annahme der Sieben Siegel der Apokalypse und ihrer Eröffnung als Interpretationsschlüssel der Schrift ermöglichten ihm, den intellectus spiritualis zu erschließen und damit den Sinn der beiden Testamente und den Lauf der Geschichte zu begreifen. Ganz neue geschichtstheologische Einsichten bietet auch sein Filioque-Verständnis, demzufolge die Geschichte die zeitliche Selbstauslegung des ewigen innertrinitarischen Emanation der göttlichen Personen darstellt. Deshalb besteht die Geschichte nicht nur aus sieben aetates, sondern auch aus drei überlappenden Stadien, welche die innertrinitarischen Relationen widerspiegeln: status Patris, d.h. die Zeit des Alten Testaments, status Filii, d.h. die Zeit des Neuen Testament, die die ganze Geschichte der Kirche umfasst bis hin zur Gegenwart, und status Spiritus Sancti, d.h. eine Zeit des geschichtlichen Friedens und der vollkommenen Einsicht, i.e. intellectus spiritualis, der gleich nach der unmittelbar bevorstehenden Drangsal der letzten Zeiten eintreten wird. Somit wurde die Geschichte als ein fortschrittlicher Offenbarungsprozess gedacht, der sich in der wachsenden geistigen Einsicht der Menschheit spiegelt. Weiter wurde seine Hermeneutik secundum spiritualem intellectum im fünften Buch der „Concordia“ auf einen allegorischen Kommentar zum Alten Testament angewandt bzw. in seinen anderen Schriften wie dem „Psalterium decem cordarum“, der „Expositio in Apocalypsim“ und dem „Tractatus super quatuor Evangelia“.

Aufgrund der fehlenden kritischen und modernen Ausgaben wurde Joachim von Fiore lange Zeit Opfer von Verzerrungen und Überinterpretationen, die ihn entweder als religiösen Schwärmer und Wahrsager oder als Urvater eines Säkularisierungsprozesses, der zum modernen Totalitarismus geführt habe, brandmarkten (wie z.B.: Taubes, 1947; Löwith, 1949; Vögelin, 1952; Cohn, 1957; De Lubac, 1979) oder ihn als einen vormarxistischen Denker (Bloch, 1954) bzw. neulich als einen Vorläufer des postmodernen Christentums (Vattimo, 2002) feierten. Dank aber der hervorragenden Arbeit der Joachim-Spezialisten im letzten halben Jahrhundert, wie Herbert Grundmann, Marjorie Reeves, Bernard McGinn, Gian Luca Potesta, Kurt-Victor Selge, Randolph Daniel, Robert Lerner, Valeria de Fraja, Alexander Patschovsky, und der Bemühungen des Centro Internazionale di Studi Gioachimiti, 1982 gegründet, sind wir jetzt endlich imstande, eine bessere und zuverlässigere Einsicht in Joachims echte Schriften und Gedankenwelt zu gewinnen und das Falsche vom Wahren zu trennen, was seine Persönlichkeit und Nachwirkung angeht. Nachdem die „Opera minora“ und von den Hauptwerken die „Concordia“ und das „Psalterium decem cordarum“ (Selge, 2009) herausgegeben wurden, um über die ganze umfassende Geschichtstheologie Joachims zu verfügen, fehlt uns nur noch eine kritische Ausgabe von „Expositio in Apocalypsim“, die allerdings schon von der Accademia Nazionale dei Lincei in Rom und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften innerhalb der „Monumenta Germaniae Historica. Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters“ vorgesehen ist.

Dan Siserman

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